Donnerstag, 20. Februar 2014

Herr Frey - seriously? "Psychische Leiden: Mehr Schein als Sein?"

Meine Antwort auf diesen unglaublichen Artikel von Eric Frey



Sehr geehrter Herr Frey,

ich möchte zu Ihrem Blog-Eintrag „Psychische Leiden: Mehr Schein als Sein“ vom 20.02.2014 Stellung nehmen, weil ich Ihnen in mehreren Punkten nicht zustimmen kann.

Zunächst verhöhnen Sie bereits in der Überschrift die derzeit geschätzten 500.000 Österreicher_innen, die von Burnout betroffen sind und die 1.000.000 österreichischen Arbeitnehmer_innen, die durch Stress am Arbeitsplatz gefährdet sind, demnächst durch Burnout auszufallen.

Burnout ist keine anerkannte Diagnose laut ICD-10, wird aber unter dem Diagnoseschlüssel Z73.0 erfasst (Zustand totaler Erschöpfung) und gehört dazu zum übergeordneten Punkt „Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“. Burnout ist eine Zusatzdiagnose und keine Behandlungsdiagnose. Das Problem mit der Klassifizierung ist schlichtweg das Verschwimmen mehrerer Krankheitsbilder: ein Burnout ohne Erschöpfung gibt es nicht, eine Depression ist auch in den meisten Fällen anzutreffen. Nur weil es keinen Diagnose-Stempel „Burnout“ gibt, heißt das nicht, dass dieser ernstzunehmende Zustand nicht existiert oder die Personen, die darunter leiden. Das empfinde ich nicht nur als ignorant, sondern auch als wertend, also ob eine psychische Krankheit „besser“ wäre als die andere.

Fakt ist, dass Menschen mit Burnout (einem Prozess, welcher sich über 12 Phasen, definiert nach H. Freudenberger, erstreckt und bis zu einem Punkt führt, an dem nichts mehr geht) Hilfe benötigen. Diesen Menschen zu unterstellen, sich in einen Zustand zu flüchten, damit sie nicht mehr zur Arbeit gehen müssten, ist eine Beleidigung. Es klingt so, als unterstellten Sie Burnout-Patient_innen, dass, anstatt sich proaktiv für eine Verbesserung ihrer Lebens- und Arbeitssituation einzusetzen, sie sich einfach mal eine schicke Mode-Krankheit aufreißen, um als Opfer der Gesellschaft und auf Kosten derer therapiert zu werden.

Eine Person mit Burnout tut sich extrem schwer, sich die Krise einzugestehen und bittet sehr spät, oft zu spät um Hilfe. Mit dem Argument zu kommen, eine Burnout-bedingter Ausfall belaste die Arbeitskolleg_innen sehr, macht obendrein noch Schuldgefühle. Etwas, was depressive Menschen mit Selbstzweifel gar nicht brauchen können. Damit will ich sagen: NIEMAND strebt ein Burnout an, um sich aus der Affäre, täglich in die Arbeit zu gehen, zu ziehen oder den Kolleg_innen eins auszuwischen.

Ein Mensch, der später an einem Burnout erkrankt, ist zumeist charakterlich so gestrickt, dass er sehr gerne und sehr viel arbeitet, entweder um sich oder anderen etwas zu beweisen (unbewusst). Ein überhöhtes Arbeitsengagement und immer geringer werdende persönliche Ressourcen zur Bewältigung der Anforderungen und Möglichkeiten, loszulassen und sich zu regenerieren münden schließlich in einem Burnout. Kurzgefasst, darüber könnte ich viel mehr erzählen.

Es kann oft Jahr(zehnt)elang gut gehen, die Leistungen werden gebracht, immer mehr Arbeit wird übernommen, soziale Kontakte und das Gefühl, entsprechend ent- oder belohnt zu werden nehmen ab. Die Abwärtsspirale beginnt. Und irgendwann bricht dieser Mensch plötzlich weg. Und alle wundern sich.

Wir sollten uns fragen, wieso die Zahl der Krankenstände aufgrund psychischer Erkrankungen so eklatant gestiegen sind – in den letzten 23 Jahren um 300 % - wie erklären wir uns das? (Zu diesem Thema erschien am 14.01.2014 folgender Artikel http://m.kurier.at/lebensart/gesundheit/ein-burn-out-kann-teuer-werden/45.805.904)

Krankenstände und Therapien verursachen enorme Kosten. Sich aber nicht auf die Suche nach der Ursache zu begeben, scheint mir nicht nur kurzsichtig sondern auch gefährlich. Anscheinend produziert unsere Gesellschaft mit ihren Anforderungen die Rahmenbedingungen dafür – wieso also nicht innehalten und etwas ändern?

Ich bin der Meinung, dass einerseits die Betriebe mehr Verantwortung übernehmen und auf ihre Mitarbeiter_innen achten sollten. Je nach Größe des Betriebes können Modelle und Angebote ausgearbeitet werden (Stressmanagement und Burnout-Prävention). Ein offenes Gesprächsklima und Herangehensweise an innerbetriebliche Probleme sind schon mal gratis. Trainings zu Stressmanagement und Bewegungseinheiten sind Aktivitäten, die dem Team-Building dienen – diese (im Vergleich zu Krankenständen geringe) Investition kommt mit Sicherheit mehrfach wieder ins Unternehmen zurück!

Andererseits ist jeder Mensch für sein Wohlergehen und seine Gesundheit verantwortlich. Gesunde Ernährung, Bewegung, ausreichend Schlaf und eine positive Grundeinstellung sind die Basis für ein gesundes und produktives Leben. Wie ein Mensch mit Stress umgeht und wie er ihn bewertet, kann mittels instrumentellem & kognitivem Stressmanagement erlernt werden. Können wir von Arbeitnehmer_innen verlangen, sich diese Fähigkeiten schon mal anzueignen, da sie ansonsten nicht fit für diese Arbeitswelt sind? Hier treffen sich Individuum und Gesellschaft (in diesem Fall in Form des Betriebes) – gemeinsam kann daran gearbeitet werden, potentielle Stressoren abzuschwächen oder zu reduzieren und den persönlichen Umgang und die Stress-Rezeption anders zu gestalten.

Gesamtgesellschaftlich sollten wir uns jedoch die Sinnfrage stellen: vor nicht allzulanger Zeit arbeitete man für den Lebensunterhalt – arbeiten, um leben zu können. Arbeit war nicht das, was einen erfüllte: nach einem Arbeitstag ging man nach Hause und verbrachte Zeit mit Dingen, die man mochte: Familie, Tiere, Hobbies etc. Mein Großvater beispielsweise arbeitete 50 Jahre lang und ernährte damit seine Familie (mit einem Gehalt, heute fast undenkbar!). Aber Arbeit war nicht alles in seinem Leben: Kinder, Hausbau, Fischen mit Freunden und das Engagement in der örtlichen Freiwilligen Feuerwehr. Was hat sich verändert? Heute lautet die Devise anscheinend: leben, um zu arbeiten. Ist doch irgendwie absurd, es wird quasi von Menschen verlangt, Arbeit an 1. Stelle zu setzen und wenn sich dann noch ein Hobby wie Marathonlaufen (Leistung, Leistung!) ausgeht, kann man sich seiner Lorbeeren sicher sein. Stress wird von diesen Menschen als Statussymbol gesehen und mit Stolz getragen wie eine Hermes-Bag. „Ich bin ja so in Stress!“ heißt eigentlich „Siehst du wie wichtig ich bin und wieviel ich leiste?“

Fakt ist, dass Angestellte mit Smartphones ausgerüstet werden, um die Emails der Chef_innen und Kolleg_innen jederzeit lesen zu können. Es gibt Studien, die zeigen, dass alleine das Vibrationsgeräusch oder das Blinken des Smartphones Stress auslöst – in Antizipation einer neuen Aufgabe, eines verschobenen Meetings etc.

All das hat es vor 15 Jahren beispielsweise noch nicht gegeben, mit dieser Tatsache wächst die Generation Y jedoch in ihren Arbeitsalltag und verliert den Gusta auf eine Karriere, für die alles andere auf der Strecke bleibt.

Ich bin der Meinung, wir sollten mit Ernsthaftigkeit und Respekt an das Thema herangehen und uns fragen, was wir tun können, damit es den Arbeitnehmer_innen in Zukunft besser geht. Dass sie gerne arbeiten (Sinn geben!) und weniger krank werden. Und wer krank wird, darf sich auf Hilfe verlassen, das ist die Verpflichtung einer ethischen Gesellschaft.

Mag. Natalie Chrstos, 28 Jahre, Marketing-Assistentin in Karenz und dipl. Burnout-Prophylaxe-Trainerin

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