Sonntag, 9. Februar 2014

Spieglein, Spieglein...

Die Sage des Narkissos kennen wir noch aus der Schulzeit: nur wenn er sich selbst erkennt, erwarte ihn ein langes Leben, sagte der Seher Teiresias. Doch genau daran scheitert der schöne Jüngling Narkissos. Von allen verehrt, kränkt er mit seiner Zurückweisung viele. Die Götter strafen ihn mit unstillbarer Selbstliebe. Die Unerfüllbarkeit seiner Liebe quält Narkissos. Er stirbt - und zurück bleibt eine Narzisse (Blume).


Narzisstisches, selbstverherrlichendes Verhalten galt früher als unrechtes Fehlverhalten. Heute wird Narzissmus immer mehr zum begehrenswerten Ideal. Die Gesellschaft konzentriert sich auf seinen kleinsten Bestandteil, die Einzelperson, und fordert diese zu scheinbaren Höchstleistungen oder zumindestens individualistischem, auffallenden Verhalten auf. Gerade in sozialen Netzwerken können sich sogenannte Cybernarzissten groß inszenieren. Sind wir von unserem Ego-Trip noch zu retten?

Anerkennung, Bewunderung und Liebe wünscht sich der Narzisst mehr als alles andere. Er begehrt und braucht es förmlich. Diese Personen schätzen ihre eigene Wichtigkeit übertrieben hoch ein und legen ein Verhalten an den Tag, das auf Kosten anderere geht. Hier lässt sich auch die Grenzüberschreitung beschreiben: eine Prise Narzissmus ist gesund, weil es unseren Selbstwert fördert, uns unsere Bedürfnisse artikulieren und einfordern lässt. Ungesund wird es dann, sobald das Gefühl der eigenen Wichtigkeit in einem Maße übersteigert ist, dass es in einem sozialen Gefüge, wo Solidarität und Empathie gefordert werden, zu Reibereien kommt.

Dass der Grat zwischen gesund und krank(haft) wie immer recht schmal ist, zeigt dieses Beispiel sehr gut: WissenschaftlerInnen der Wirtschaftsuniversität St. Gallen haben psychologische Profile von Bankern und Psychopathen erstellt und verglichen und dabei viele Parallelen entdeckt. Rücksichts- und Verantwortungslosigkeit, Risikobereitschaft und Gefühlsarmut sind Eigenschaften, die beide aufweisen. Mit dem Unterschied, dass sich der Banker gesellschaftlich in einem Rahmen bewegt, der akzeptiert ist, der Kriminelle nicht.

Der bekannte Psychiater und Gerichtsgutachter Reinhard Haller zeigt in seinem Buch "Die Narzissmusfalle: Anleitung zur Menschen- und Selbstkenntnis" auf, dass es um die Balance zwischen Egozentrik und Rücksichtnahme, zwischen Empfindlichkeit und Durchsetzungsfähigkeit, zwischen Empathiemmangel und Durchsetzungsfähigkeit sowie zwischen Selbst- und Fremdwertung geht. Dieses Gleichgewicht scheint in unserer Gesellschaft durcheinander gekommen zu sein, denn gerade narzisstisches Verhalten wird oftmals medial belohnt und zum Ideal stilisiert. (Man denke an die zahlreichen Ausbrüche von Möchtegern-Stars und Sternchen.)

Auch hier geht es wieder einmal darum, Balance herzustellen zwischen Eigensinn, Selbstliebe, Durchsetzungskraft, Empathie und Rücksicht auf andere.
Fragen wir uns, was uns tatsächlich antreibt. Welche Bedürfnisse will ich stillen? Und: welche Werte möchte ich vertreten? Wie und was möchte ich leben und was soll von mir übrig und in Erinnerung bleiben?

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